Beitragsbild. Das Ikigai-Modell auf einem Tisch mit Kaffetasse, Stift und Tasse. Beitragstitel und Logo von BuddhasPfad.

Einleitung: Ikigai, das Wort, das hängen bleibt

Plötzlich war es da. Auf einem Poster, in einem Podcast, in irgendeinem Reel: Ikigai.

Ein Wort, das klingt wie ein Atemzug.
Wie etwas, das man verstehen will, nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Bauch.
Und dann dieses Diagramm: vier Kreise, die sich überschneiden.
Berufung, Leidenschaft, Sinn, Geld. Das Ikigai-Modell.

Es sah aus wie eine Anleitung für das perfekte Leben.
Aber irgendetwas daran stimmte nicht.
Oder besser gesagt: etwas fehlte.

Denn Ikigai, so sagen jene, die es leben, hat kein Ziel.
Es hat einen Herzschlag.

Ikigai ist nicht das große „Warum“ deines Lebens.
Es ist das kleine „Deshalb“ am Morgen.
Deshalb stehe ich auf. Deshalb bleibe ich neugierig. Deshalb lohnt es sich.

In diesem Artikel lade ich dich ein, Ikigai nicht als System zu betrachten,
sondern als leise Haltung. Nicht als etwas, das du finden musst – sondern etwas, das vielleicht längst da ist. Zwischen dem ersten Kaffee, einem Satz, der dich nicht loslässt, und der Art, wie du deine Tage gestaltest.

Was Ikigai nicht ist: die Irrtümer des Diagramms

Das berühmte Ikigai-Modell begegnet dir überall: Vier bunte Kreise – mit Schnittmengen, Beschriftungen und der Verheißung, dass sich alles irgendwann zusammenfügt.

Was du liebst. Was du gut kannst. Wofür du bezahlt wirst. Was die Welt braucht. In der Mitte: Ikigai.

Schön anzusehen. Aber: nicht japanisch. Zumindest nicht in dieser Form.

Dieses Diagramm stammt nicht aus Okinawa oder Kyoto, sondern aus westlichen Businesskontexten. Ein Versuch, das Unfassbare in ein Framework zu pressen.
Gut gemeint – und dennoch: Es macht Ikigai zu einer Optimierungsaufgabe. Wie ein Karrierecoaching mit spirituellem Anstrich.

Doch Ikigai fragt nicht, ob du damit Geld verdienst. Es fragt: Spürst du, dass es Sinn ergibt? Für dich?

Ikigai ist nicht der perfekte Jobtitel.
Nicht die eine Berufung, die alles erklärt.
Nicht der Punkt, an dem alle Erwartungen an dich erfüllt sind.

Ikigai kann
– eine Tasse Tee sein, die du jeden Morgen gleich aufgießt.
– die Sorge um eine alte Nachbarin.
– ein Satz, der dich nie loslässt.
– ein Projekt, das niemand kennt, außer dir.

Es ist still. Und oft unbemerkt.
Aber wenn es fehlt, spürst du es sofort.

Was Ikigai wirklich bedeutet

Ikigai ist kein Puzzle, das du lösen musst.
Es ist ein Wort, das aus zwei einfachen Silben besteht:
iki – Leben: 生き (iki) → kommt vom Verb 生きる (ikiru) = leben, am Leben sein, lebendig sein.
gai – Wert, Sinn, Wirkung: 甲斐 (gai oder kai) → bedeutet Wert, Nutzen, Sinn, Wirkung, lohnender Grund.

Zusammen:
生き甲斐 (ikigai) = das, was dem Leben Wert gibt.
oder poetischer: der Grund, warum es sich lohnt zu leben.


🇯🇵 In Japan: leise, selbstverständlich

In Japan spricht man selten abstrakt über „sein Ikigai“.
Man redet über die Dinge, die Halt geben:
– der kleine Garten hinter dem Haus
– das morgendliche Bad im Onsen
– die Enkel, die jedes Wochenende vorbeikommen
– ein Handwerk, das man seit Jahrzehnten pflegt

Ikigai ist dort nicht die große Lebensmission.
Es ist Alltag, geerdet, nah.
Ein Grund aufzustehen, ein stilles „Deshalb“ im Hintergrund.


🌍 Im Westen: optimiert und überformt

Im Westen wurde Ikigai in ein buntes Venn-Diagramm gegossen.
„Was du liebst. Was du kannst. Was die Welt braucht. Wofür du bezahlt wirst.“
Ein schöner Gedanke, aber er hat mit Japan wenig zu tun.
Er stammt von westlichen Autoren, die ein Framework suchten,
um Ikigai als Karriere- und Purpose-Konzept zu verkaufen.

So wurde aus einem Gefühl ein System.
Aus kleinen Freuden eine To-do-Liste.


✨ Und in Wahrheit?

Ikigai ist kein Ziel, sondern eine Richtung.
Es ist nicht das, was du finden musst, sondern das, was dich schon trägt.
Vielleicht ein Gespräch, das dich nährt.
Vielleicht ein Satz, den du schreibst.
Vielleicht die Art, wie du atmest, bevor der Tag beginnt.

Ikigai wächst nicht im Streben, sondern im Sehen, was schon da ist.

Das Ikigai-Modell neu lesen – mit Achtsamkeit

Das Venn-Diagramm, das wir alle kennen, hat eine ganz andere Herkunft.
Es stammt nicht aus Japan, sondern aus der Mathematik des 19. Jahrhunderts.
Ein britischer Logiker namens John Venn wollte zeigen, wie sich Mengen überschneiden. Kreise, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede sichtbar machen:
Tee-Trinker hier, Kaffee-Trinker dort – und in der Mitte jene, die beides lieben.

Ein kluges Werkzeug, klar und einfach. Doch als wir begannen, Ikigai in solche Kreise zu pressen, haben wir etwas Wesentliches verloren. Wir haben ein Lebensgefühl in eine Gleichung verwandelt.


🌸 Was passiert, wenn wir das Modell anders betrachten?

Statt es als Anleitung zu sehen, könnten wir es als Spiegel lesen.
Nicht: „So muss dein Leben aussehen.“
Sondern: „Schau hin, was in dir gerade lebendig ist.“

  • Was du liebst 💗 – Dinge, die dich nähren.
  • Was du gut kannst ✨ – Fähigkeiten, die dir leichtfallen.
  • Was die Welt braucht 🌍 – Impulse, die über dich hinauswirken.
  • Wofür du bezahlt wirst 💰 – Strukturen, die dir Stabilität geben.

Muss alles zusammenpassen? Nein. Ikigai ist kein Puzzle, das nur dann komplett ist, wenn alle Teile ineinander greifen.


🧘 Ein achtsamer Umgang mit dem Modell

Du kannst das Diagramm nutzen wie eine Meditation:
Nicht um zu optimieren, sondern um wahrzunehmen.
Frage dich:

  • Was spüre ich heute in diesem Kreis?
  • Wo fühle ich gerade Leere – und ist das vielleicht okay so?
  • Muss mein Ikigai groß und sichtbar sein? Oder darf es still bleiben?

So wird aus dem Venn-Diagramm kein Dogma, sondern ein Werkzeug,
um die feinen Bewegungen deines Lebens zu erkunden.


✨ Ikigai entsteht nicht im perfekten Schnittpunkt.
Es entsteht in der Art, wie du dich selbst liest – jeden Tag neu.

Ikigai & innere Ordnung – warum das Modell trotzdem hilfreich sein kann

Vielleicht fragst du dich: Wenn das Diagramm gar nicht aus Japan stammt – warum ist es dann überall so beliebt?
Die Antwort ist einfach: Weil es uns hilft, über uns selbst nachzudenken.


🌸 Die Kraft des Westens: Struktur

Das Venn-Diagramm macht sichtbar, was wir sonst nur vage spüren:
– Was wir lieben.
– Was wir gut können.
– Was die Welt braucht.
– Wofür wir bezahlt werden.

Als Übung kann es Klarheit schenken.
Es ist wie ein Spiegel, der dir zeigt, welche Felder deines Lebens viel Raum haben – und wo Leere herrscht.
Das kann schmerzhaft sein. Aber auch befreiend.


🌿 Die Weisheit Japans: Alltag

Die japanische Sicht auf Ikigai erinnert uns daran:
Du musst nicht alle Kreise gleichzeitig ausfüllen, um Sinn zu haben.
Es reicht, wenn ein kleiner Funke da ist.
Etwas, das dich trägt – sei es ein Gespräch, ein Projekt, ein Ritual.


🧘 Achtsamer Umgang mit beiden Perspektiven

Statt „entweder – oder“ darfst du beides verbinden:

  • Nutze das Modell als Journaling-Werkzeug: Zeichne die Kreise, schreibe hinein, was dir einfällt.
  • Lies danach deine Worte still. Nicht wie eine To-do-Liste, sondern wie Spuren deiner inneren Welt.
  • Erinnere dich: Ikigai ist nicht das, was auf dem Papier perfekt aussieht. Es ist das, was dich jetzt lebendig fühlen lässt.

📚 Inspiration vertiefen

Wenn du tiefer eintauchen möchtest, empfehle ich dir zwei Richtungen:

  • Japanische Perspektive: „Ikigai: Die japanische Lebenskunst“ von Ken Mogi – klein, leise, authentisch. *Hier auf Amazon ansehen.
  • Westliche Brücke: „Ikigai – The Japanese Secret to a Long and Happy Life“ von Héctor García & Francesc Miralles – ein Bestseller, der Forschung mit Geschichten verbindet. Bisher leider nur auf englisch. *Hier auf Amazon ansehen.

So kannst du selbst entscheiden, welche Stimme dich mehr anspricht:
die klare westliche Struktur – oder die leise japanische Lebenshaltung.
Am Ende gehören beide zu unserer Welt.


✨ Fazit dieses Kapitels: Das Ikigai-Modell ist nicht „falsch“. Es ist nur unvollständig, wenn wir es ohne die japanische Seele lesen. Doch in Kombination, Struktur und Stille, Klarheit und Alltag, kann es dir helfen, deine eigene innere Ordnung zu entdecken.

Fazit: Ikigai ist kein Ziel, es ist eine Richtung

Ikigai ist kein Punkt in einem Diagramm.
Es ist ein Puls.
Manchmal leise, manchmal kraftvoll.
Es zeigt sich nicht, wenn du es suchst.
Es zeigt sich, wenn du innehältst.

Vielleicht ist dein Ikigai heute ein Satz, den du liest.
Vielleicht das Lächeln einer Fremden.
Vielleicht ein Projekt, das du im Stillen beginnst.

Ikigai wächst, wenn du ihm Raum gibst – nicht Druck.


🌿 Einladung

Wenn du tiefer einsteigen möchtest:

  • Lade dir mein Ikigai-Worksheet mit Reflexionsfragen herunter.
  • Oder beginne mit meinem Freewriting-Tool, um deine Gedanken frei fließen zu lassen.

Manchmal findest du Ikigai nicht, indem du suchst.
Sondern indem du schreibst, schaust – und still wirst.

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Ein Kommentar

  1. Oh wow, so hat mir noch nie jemand das Ikigai erklärt, obwohl ich mich schon intensiv damit beschäftigt habe … Macht für mich total Sinn.

    Besonders hängen bleibt dieser Satz: Ikigai ist nicht das große „Warum“ deines Lebens.
    Es ist das kleine „Deshalb“ am Morgen.
    Deshalb stehe ich auf. Deshalb bleibe ich neugierig. Deshalb lohnt es sich.

    Das kleine deshalb … so kraftvoll.

    Herzliche Grüsse vom Zürichsee
    Tanja

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