Was suchst du wirklich?
Zwanzig Jahre Krankenkasse. Sicher, solide, korrekt.
Ein Beruf, der mich getragen hat und gleichzeitig leise die Frage wachsen ließ: War das schon alles?
Mit 40 habe ich nicht mein Leben umgekrempelt. Ich habe einfach begonnen, ihm zuzuhören. Nicht weil ich unglücklich war. Sondern weil ich spürte: Da ist noch etwas. Etwas, das tiefer reicht als Verträge und Vollzeit.
Also habe ich mich eingeschrieben. Nicht für den nächsten Karriereschritt, sondern für ein neues Kapitel in mir. Ein Bachelorstudium. Im Herzen. Im Kopf. Und mitten im Leben.
Ich war nicht auf der Flucht. Ich war auf der Suche. Nach Sinn. Nach Sprache. Nach Verbindung.
Und vielleicht auch nach mir selbst – in einer Welt, die gern vergisst, wie sich echte Neugier anfühlt.
Wenn dich diese Suche berührt, lies auch meinen Beitrag zur spirituellen Krise.
Meine Entscheidung war kein Plan. Sie war eine Antwort – auf eine Krise, die innen begann.
Warum ein Studium – und warum jetzt?
Ich hätte es auch lassen können. Mein Sohn war 13, und ich entschied mich gegen Vollzeit, behielt meine Teilzeit und schrieb mich ein, an der Uni Hamburg, in Sprachen und Kulturen des indischen Subkontinents und Tibets. Mein Nebenfach: Kunstgeschichte.
Nicht, weil ich musste. Sondern weil ich durfte.
Das Studium ist für mich kein Statussymbol – es ist ein Raum. Ein Raum, in dem Denken wieder weit wird. In dem Fragen wichtiger sind als Antworten. Und in dem ich mich selbst immer wieder neu sortiere, zwischen Texten, Begriffen, Sprachen.
Ich studiere, weil es mich lebendig macht. Weil ich nicht aufhören will zu fragen, zu verstehen, zu verbinden.
Und weil ich glaube, dass Bildung kein Privileg der Jugend ist – sondern ein Recht, das mit der Zeit wächst.
Vielleicht ist es das, was „Scanner-Persönlichkeiten“ so gut kennen:
Diese Lust, sich nicht festzulegen. Nicht, weil man flatterhaft ist –
sondern weil man das Ganze spüren will.
👉 Hier schreibe ich mehr dazu.
Und warum gerade dieses Fach? Warum ausgerechnet Sprachen und Kulturen des indischen Subkontinents und Tibets – mit Kunstgeschichte als Nebenfach?
Weil alles daran mich rief. Nicht strategisch. Nicht logisch. Sondern innerlich.
Kunstgeschichte war ein naheliegender Schritt. Ich habe schon immer gemalt.
Farben, Formen, feine Linien: Das war mein Weg, mich auszudrücken, lange bevor ich Worte hatte. Zehn Jahre vor dem Studium hatte ich mich drei Jahre lang bei der Studiengemeinschaft Darmstadt fortgebildet. Sie öffnete mir Türen, die ich nie geplant hatte: Ich unterrichtete an Volkshochschulen, gab Kurse in Kreativität und Malerei und spürte, wie sehr das Gestalten mich mit Menschen verbindet. Das war alles vor dem Studium. Mit Kunstgeschichte als Nebenfach schloss sich für mich ein Kreis. Ein Aha-Erlebnis. Seitdem sehe ich Bilder anders, male meine Bilder anders.
Und dann dieses sogenannte Orchideenfach. Warum gerade das?
Weil für mich mit der Geburt meines Sohnes alles begann. Nicht das Muttersein allein, sondern das große Fragen. Nach Seele. Sinn. Ursprung.
„Das mit der Spiritualität“, wie ich es manchmal nenne, begann dort.
👉 Hier erzähle ich mehr darüber.
Ich habe vieles ausprobiert. Auch das, was man vielleicht esoterisch nennen würde – Energiearbeit, Heilmethoden, Meditationen in bunten Räumen. Was der Unterschied ist zwischen Spiritualität und Esoterik?
Besonders fasziniert hat mich der Schamanismus. Ich durfte anderthalb Jahre bei einer Schamanin lernen – ernsthaft und mit viel Achtung.
Aber irgendwann fehlte mir etwas: Tiefe. Sprache. Kontext. Nicht die Erfahrung an sich, sondern ein Rahmen, in dem ich alles einordnen, durchdringen, verstehen konnte.
Ich wollte wissen, woher diese Rituale stammen. Was dahinterliegt – historisch, kulturell, sprachlich. Und was bleibt, wenn man die Exotik abzieht.
Also studierte ich Sanskrit. Habe mich auf Tibetisch fokussiert. Irgendwann mit japanisch angefangen. Vergleiche Weltbilder. Übersetze tibetische Texte. Und finde darin nicht nur Wissen, sondern Verbindung.
Mein Alltag zwischen Job und Studium
Mein Alltag ist kein Retreat. Er ist eine fein austarierte Choreografie – irgendwo zwischen Krankenkasse, Unikursen und der Frage: Habe ich heute überhaupt geatmet?
Ich arbeite Teilzeit. Nicht, weil ich es mir leisten kann, sondern weil ich es mir wert bin.
Morgens bin ich in Meetings und entwickle Lernvideos, nachmittags analysiere ich Tibetisch-Grammatik. Abends schreibe ich Blogartikel oder an meinem Buch. Und dazwischen versuche ich, nicht zu viele Tabs im Kopf offen zu halten.
Es ist nicht immer leicht. Aber es fühlt sich richtig an. Weil es in allem, was ich tue, eine Linie gibt: Tiefe vor Tempo.
Ich plane nicht im Wochenkalender, sondern in inneren Räumen. Ein chaotischer Schreibtisch, eine Tasse Tee, 90 Minuten Konzentration – das ist oft mein Luxus.
Oder ein Satz in einem Text, der mich still macht.
Wie ich das schaffe?
Mit Struktur, und mit Hingabe. Ich arbeite mit Obsidian, meditiere, wenn mir alles zu viel wird, sortiere meine Woche wie ein Mosaik. Manchmal bricht trotzdem alles durcheinander – dann atme ich durch, schiebe neu, beginne nochmal.
Und ja: Ich bin eine sogenannte Scanner-Persönlichkeit.
👉 Was das genau bedeutet, erkläre ich hier.
Ich will nicht nur eine Richtung. Ich brauche Vielfalt, Tiefe, Bewegung. Mein Studium ist kein Ausweg – es ist meine Art, mich selbst ernst zu nehmen.
Teilzeit mit Vollherz: So organisiere ich mein Studium
Wie organisiert man ein Studium neben dem Beruf?
Nicht mit Perfektion. Sondern mit Prioritäten, die atmen dürfen.
Ich studiere in Teilzeit, das war von Anfang an klar.
Weil ich wusste: Ich will verstehen, nicht nur bestehen.
Und weil mein Leben eben nicht pausiert, nur weil ich neue Wege gehe.
Das bedeutet: Ich belege weniger Module pro Semester, brauche entsprechend länger,
aber genau das schenkt mir Tiefe. Und Würde im Prozess.
Ich arbeite drei volle Tage die Woche.
Die anderen beiden sind für Seminare, Lesen, Schreiben.
Manchmal auch für Wäsche, Zahnarzt und To-do-Listen.
Aber ich halte mir bewusst Räume offen.
Denn wer ständig rennt, hört irgendwann nichts mehr.
Mein Studium ist in Präsenz, manchmal auch online. Ich habe zu Hause ein eigenes Zimmer, für Homeoffice und zum Studieren, mit zwei großen Bücherregalen und einer Ecke zum Meditieren. Keine Hightech-Zentrale, aber ein Ort, an dem ich denken darf.
Was mir hilft?
- Digitale Wochenplanung, durchgetaktet.
- 1–2 klare Lernziele pro Woche, nicht mehr.
- Flexibles Denken: Wenn’s nicht passt, wird umsortiert. Ohne Drama.
Manchmal laufe ich mit Japanisch-Vokabeln im Kopf zum Tibetisch-Unterricht. Manchmal bin ich geistig so leer, dass kein Satz mehr will.
Dann lege ich mich hin, schaue aus dem Fenster und atme.
Ich hätte 2021 mit dem Bachelorabschluss aufhören können. Aber irgendwie war da dieses leise Weiter. Nicht laut. Nicht logisch. Ein inneres Nicken. Ein: Du bist noch nicht fertig.
Ich wählte Buddhist Studies, ein internationales Masterstudium auf englisch.
Kein Karriereziel. Kein Druck von außen.
Nur das Gefühl: Ich bin mittendrin – nicht am Ende.
Und das Vertrauen, dass Wissen nicht nur im Kopf stattfindet,
sondern in der Art, wie ich mich durchs Leben bewege.
Ich studiere nicht trotz meines Lebens.
Sondern in Resonanz damit.
Was sich verändert – in mir, durch mich, für mich
Wenn ich heute zurückblicke, sehe ich keine Leistung. Ich sehe Wandlung.
Das Studium hat keine neue Version von mir geschaffen.
Es hat mich zurückgeführt – zu Fragen, die ich lange überhört hatte.
Und zu einer Stimme in mir, die nicht laut ist, aber klar.
Ich bin ruhiger geworden. Nicht leiser, aber klarer.
Ich gehe langsamer. Und ich wähle bewusster, worauf ich meine Energie richte.
Ich lese alte Texte und finde darin etwas ganz Gegenwärtiges.
Ich schreibe Hausarbeiten und entdecke Gedanken, die nicht nur für die Uni gelten,
sondern für mein Leben. Für das, was ich fühle, entscheide, loslasse.
Und ich sehe auch, wie sehr dieses Studium meine Arbeit verändert hat.
Ich bin aufmerksamer geworden. Empathischer. Ich reagiere weniger reflexhaft, bin präsenter. Nicht immer, aber immer öfter.
Die Kombination aus Beruf und Studium hat mir gezeigt:
Ich muss mich nicht aufspalten, um zu wachsen.
Ich darf Wissen und Leben miteinander verweben.
Nicht als Methode. Sondern als Haltung.
Der berufsbegleitende Master als Weg, nicht als Ziel
Ich studiere nicht für einen Abschluss.
Ich studiere, weil ich Raum brauche.
Für Tiefe, für Denken, für innere Bewegung.
Das Masterstudium ist kein Projekt.
Es ist mein Ort geworden.
Ein Ort zwischen Beruf und Berufung, zwischen Struktur und Staunen.
Ich habe gelernt, dass Bildung nicht an Institutionen hängt, sondern an der Bereitschaft, sich berühren zu lassen. Von Sprache. Von Geschichte. Von dem, was größer ist als ich.
Und dass Lernen sich nicht erledigt.
Es verwandelt sich.
Es wird gelebte Haltung.
Wenn du das hier liest und spürst: Vielleicht geht da noch was, dann geht da vermutlich noch was.
Vielleicht kein Master.
Aber ein Schritt.
In Richtung du.